Sonntag, 11. November 2012

Herr X und die Suche nach der Suche

Satire, Satirisches

Nachdem Herr X feststellte, dass er sein Heil doch nicht in Kinderliedern finden konnte, schnappte er sich Mantel, Hut und Stock, brach erneut auf und begab sich auf die Suche. Im Treppenhaus begegnete er Tanja, der kleinen Nachbartochter.
"Hallo, gehst du nicht arbeiten", fragte sie ihn.
"Nein, nein", antwortete er zerstreut.
"Bist du krank?"
"Nein."
"Warum gehst du dann nicht arbeiten?"
"Ich habe Wichtigeres zu tun", antwortete Herr X stolz, der schon seit geraumer Zeit nicht mehr arbeiten war.
"Ja", sie schaute ihn misstrauisch an, "mein Papa sagt, wer nicht arbeitet und nicht krank ist, ist faul. Vor allem, wenn er noch nicht einmal Kinder hat."
"Dein Vater sollte dir lieber etwas Anständiges beibringen."
"Was ist denn das, etwas Anständiges?"
"Nun, zum Beispiel das, was ich tue."
"Was tust du denn, wenn du nicht arbeitest?"
"Ich suche."
"Ich suche auch manchmal, meine Puppe. Meine Mama sagt, wenn ich besser aufräumen würde, bräuchte ich nicht zu suchen."

Aufräumen, aufräumen, ratterte es in seinem Kopf. Das Kind war nicht dumm, doch dann sagte er:
"So leicht ist das nicht. Was ich suche, lässt sich nicht einfach ins Regal stellen."
"Nein", staunte die Kleine, "was suchst du denn?"
"Das lässt sich nicht so einfach sagen. Wenn ich ehrlich bin, weiß ich das gar nicht so genau."
"Wie machst du das denn?"
"Was?"
"Na, wie findest du etwas, wenn du gar nicht weißt, was du suchst?"

Ein schlaues Kind. Herr X ging nachdenklich weiter, änderte seinen Plan und begab sich nun zunächst auf die Suche nach der Suche.

 © by Anja Wurm

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