Sonntag, 14. Oktober 2012

Satirisches: Die Suche des Herrn X



Herr X ging die 63. Straße entlang. Ursprünglich hieß sie ja Kauberstraße, doch Herr X konnte sich Zahlen besser merken als Namen, außerdem waren sie ihm sympathischer, daher hatte er eines Tages die Straßen seiner Stadt nummeriert. Eine herrliche Zahl für eine wunderschöne Straße.
Es  war ein Freitagmorgen im April, die Sonne kam ein wenig hinter den Wolken hervor, aber es fröstelte noch. Herr X kam an einem Schaufenster mit allerlei bunten Dingen vorbei.

Scheußlich, grässlich, dachte er und fragte sich, was das zu bedeuten hatte. Lauter buntes, unnützes Zeug, wild durcheinander gewürfelt, es sprang ihm regelrecht in die Augen. Es blendete ihn fürchterlich und er konnte nichts erkennen. 
Dann wanderte sein Blick zur Tür, diese schien interessanter zu sein. Ein Schild mit der Aufschrift "Bitte gehen Sie nicht wieder fort, ich bin gleich zurück" klebte an der Scheibe.

Nun, wenn er gar so sehr gebeten wurde, so wollte er warten. Er war schließlich los gezogen um etwas oder jemanden zu suchen und hier schien ihn offensichtlich jemand zu erwarten.

"Guten Morgen, warten Sie auf mich?", fragte der Ladenbesitzer und schloss sein Geschäft auf.
"Ich konnte Ihrer Bitte nicht widerstehen."
"Suchen Sie etwas Bestimmtes", der Verkäufer zeigte auf seine Waren.
"Nein, nichts Bestimmtes."
Herr X wunderte sich über die seltsamen Dinge hier, Monster, die Töne von sich gaben, Miniaturen von Menschen, Häusern, Autos und vieles mehr. Er konnte kaum fassen, was er sah und setzte sich auf einen kleinen Stuhl.
"Kann ich Ihnen helfen", meldete sich der Inhaber wieder.
Aufgebracht, mit weit aufgerissenen Augen, stammelte Herr X:
"Das weiß ich doch nicht."
"Fehlt Ihnen etwas, ist Ihnen nicht gut?"
Herr X schaute auf den Boden: "Nein, nein."
"Ich dachte schon. Na, lassen Sie sich Zeit. Wenn Sie mich brauchen, rufen Sie mich."

Entsetzlich, was war denn das für ein Geselle. Überhaupt kein Benehmen. Nicht einmal einen Kaffee hatte er ihm angeboten, keinen Stuhl, nichts. Beschäftigt sich mit unnützem Kram, anstatt sich um seinen Gast zu kümmern und dann mischte er sich auch noch in seine höchst privaten Angelegenheiten ein: "suchen Sie etwas", "fehlt Ihnen etwas", das war doch wohl der Gipfel der Frechheit! Kaum zu glauben, dass ein solch fürchterlicher Mensch es fertigbrachte, so ein nettes Schild zu schreiben.

"Nun, sagen Sie einmal, wollen Sie mir nicht einmal einen Kaffee anbieten", entrüstete sich Herr X.
"Ihnen ist doch nicht gut, wieso sagen Sie das nicht gleich. Selbstverständlich werde ich Ihnen einen Kaffee kochen."

"Milch, Zucker?"
"Ja, bitte. Aber hören Sie einmal, wo ist denn Ihre Tasse", fuhr ihn Herr X an. Der Mann wagte nicht, sich seinem seltsamen Kunden zu widersetzen, holte einen weitere Tasse und einen zweiten Stuhl. Nach einer Weile des Schweigens, fragte Herr X den Eingeschüchterten:
"Sind sie immer so schweigsam?"
"Nein, durchaus nicht."
Nach einer kurzen Besinnungspause erwiderte Herr X:
"Oh, ich war wohl etwas grob zu Ihnen. Aber wissen Sie, es ist nur so, ich bin ja auf der Suche und ihr Schild versprach so viel, ich dachte, Sie hätten mir etwas anzubieten. Ich reagiere immer etwas aufbrausend, wenn meine Erwartungen nicht erfüllt werden."
"Nun, außer dem Angebot, das Sie gesehen haben, kann ich Ihnen noch Kinderbücher anbieten. Wie alt ist denn das Kind?

Welches Kind? Sah er etwa aus, als hätte er ein Kind? Kinderbücher, was sollte er mit Kinderbüchern?

"Nein, keine Bücher."
"Ich hätte auch noch CDs mit Märchen oder Liedern."
Herr X nickte begeistert.
"Soll es etwas Modernes sein?"
"Nein."
"Hier habe ich eine CD mit "Hänschen klein und …"
"Ja, die nehme ich."
"Dürfte ich Sie dann zur Kasse bitten?"

Bezahlen sollte er auch noch, so eine Frechheit, er war doch auf der Suche nach dem Weg und jetzt sollte er sich mit so primitiven Dingen wie Geld auseinandersetzen. Leute gab es.

Hänschen klein hatte er schon als Kind gerne gehört und schließlich war er doch heute erst losgegangen ...  in die weite Welt hinein ...


Anja Wurm

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